Approach to Nature

Georg Thumbach | exhibition Carol Johnssen

Ohne Titel, 2022, Kohle auf Papier, 200 x 152 cm

Appetit aufs Schauen. Eine Wanderung

Henry Keazor

Bei manchen Künstlerinnen und Künstlern muss man sozusagen „diamedial“ schauen, d.h. ihre in verschiedenen Medien gearbeiteten Werke erschließen sich umso dichter und tiefer, je mehr man von ihnen – in eben diesen unterschiedlichen Medien – gesehen hat. Im Kopf des/der von Arbeit zu Arbeit und damit von Medium zu Medium Wandernden reift so nach und nach die Einsicht in Zusammenhänge, welche die einzelnen Werke übergreifen und sie zugleich miteinander verweben und verschränken, dabei über das bloß Motivische hinausgehend: Natürlich sind die Werke von Georg Thumbach alle schon dadurch klar miteinander verbunden, dass sie alle in der einen oder anderen Weise etwas mit Holz zu tun haben: Die auf großen und langen Papierbahnen in Kohle ausgeführten Baum-Dickicht-Darstellungen ebenso wie die in Mischtechnik auf Grobspanplatten ausgeführten Bilder komplexer Netzstrukturen oder die mit Brettern, Balken und Stämmen arbeitenden Installationen und plastischen Arbeiten. Jedoch deutet schon eine solch simple Auflistung in erster Annäherung an, inwiefern hier das rein Motivische überschritten wird. Denn Thumbachs Werke setzen sich nicht nur visuell mit verschiedenen „Aggregats-“ und „Dimensionszuständen“ von Holz (vollplastisch: Stamm, Balken, Brett; plan: Platte, Papier) auseinander, sondern gehen selbst bei den Zeichnungen in ihrer Materialität sowohl hinsichtlich des Trägers (Papier) als auch des Auftrags (Kohle) auf Holz bzw. Pflanzliches zurück. Man hat also zusätzlich zu dem Cantus Firmus des durch die Medien und Gattungen wandernden Motivs auch eine materielle Konstante. Diese vermag es zugleich, für raffinierte Reize zu sensibilisieren, denn Thumbach spielt gewissermaßen mit den erwähnten „Aggregats-“ und „Dimensionszuständen“ von Holz, wenn er, aus unmittelbarer Nähe betrachtet, auf einem Blatt Papier mit Hilfe des Kohlestifts, gemäß der Planheit des Trägermediums, einerseits in der Ebene sich entfaltende komplexe Verflechtungen zu entwerfen scheint…die sich jedoch andererseits, beim Zurücktreten, in den Raum öffnen und sich zum Blick in ein oftmals lebensgroß gezeichnetes Waldstück fügen. Die Betrachterinnen und Betrachter können so jenen Prozess nachvollziehen, den Thumbach für seine Tätigkeit dahingehend gefasst hat, dass er sich als Zeichner „in die Tiefe“ bewege. Wahrt der Künstler hierbei sozusagen die Einheit von Maßstab, Ort und Zeit (die Zeichnungen werden z.T. im Verhältnis 1:1 vor Ort und in einem aufgrund der im Freien natürlich rasch wechselnden Beleuchtung vorgegebenen Zeitfenster von maximal 90 Minuten ausgeführt), so sieht dies bei den Gemälden schon anders aus. Denn hier führt Thumbach mit in Acryl gebundenen Erdpigmenten auf Grobspanplatten komplex verschlungene Muster vor, die sich wie stark vergrößerte Darstellungen der Netzstrukturen eben solcher Grobspanplatten ausnehmen: Der Künstler wird sozusagen zum Vergrößerungsglas. Zudem tritt hier nun die Farbe hinzu, während die Kohle-Zeichnungen in einem strengen Schwarz-Weiß gehalten sind, das ihnen wegen der damit erweckten Tusche-Assoziationen sowie aufgrund der z.T. geradezu kalligraphisch erscheinenden Ornamente eine ostasiatische Anmutung gibt. Auch die Close-ups der Grobspan-Strukturen rufen Vergleiche wach: Während die in ihnen waltende Aufmerksamkeit für noch das kleinste Detail an Albrecht Dürers berühmtes „Rasenstück“-Aquarell in der Wiener Albertina denken lässt, weckt der Gesamteindruck hingegen eher Erinnerungen an die abstrakt-expressionistischen Linienwerke Jackson Pollocks – eine Ähnlichkeit, die in jenen Werken Thumbachs noch verstärkt wird, in denen er die Gefäßgeflechte der Grobspanplatten stärker abstrahiert, wenn er sie in weniger naturalistischer Rot- bzw. Blau-Rot- Farbigkeit und in spröderem Duktus erfasst oder sie sogar zu einem filigran-unruhigen Muster aus den Platten aussägt. Mit diesen in Holz gewirkten Spitzengeweben ist zugleich der fließende Übergang zu den installativen und plastischen Arbeiten gegeben, in denen eine große Strenge herrscht: Bretter werden zu Symmetrien und klar gerichteten dynamischen Linienverläufen geordnet, und selbst bei den vom Künstler durch Bohrungen in Balken und Stämme gewiesenen und „Schlünde“, „Stollen“ und „Schächte“ eröffnenden Blicken hat diese Ordnung wesentlichen Anteil an der so erzielten Wirkung. Wandert man zwischen diesen verschiedenen Werken hin und her, so kann man gleich zweifach und im wahrsten Sinne des Wortes dem schöpferischen Prozess Thumbachs folgen, der von sich sagt: „Als Zeichner schaue ich von außen nach innen. (…) bewege mich in die Tiefe.“ Ebenso können Betrachterin und Betrachter, von den Zeichnungen mit den geflechtartigen Strukturen der Äste für deren Pendants in der Tiefenstruktur der Spanplatten-Fasern sensibilisiert, eben diesen Blick von außen nach innen, vom Makro des Walddickichts ins Mikro der Grobspanplatten richten.